Landtagsabgeordnete melden sich zu einer Abstimmung während einer Plenarsitzung im Bayerischen Landtag am 07.02.2024 in München
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Landtagsabgeordnete melden sich zu einer Abstimmung während einer Plenarsitzung im Bayerischen Landtag am 07.02.2024 in München

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"AfD flutet Parlament": Wie der Landtag um Qualität ringt

Weil in Bayerns Landtag etwas weniger los ist, werfen sich Koalition sowie Grüne und SPD gegenseitig mangelnde Tatkraft vor. Lachender Dritter ist die AfD, die viel Wirbel macht. Sechs Monate nach der Wahl suchen die Fraktionen noch nach Strategien.

Über dieses Thema berichtet: Die Welt am Morgen am .

Die Plenarsitzungen im Bayerischen Landtag erinnern zuweilen an den Film "Und täglich grüßt das Murmeltier". Während sich im Film ein Tag ständig wiederholt, erleben die bayerischen Abgeordneten seit Mitte Dezember in jeder Vollsitzung aufs Neue den Versuch der AfD-Fraktion, jemanden aus ihren Reihen zum Landtagsvizepräsidenten wählen zu lassen. In zehn Sitzungen in Folge wurde über AfD-Kandidaten abgestimmt und meist auch debattiert, zehnmal scheiterte er oder sie. Ablauf und Resultat gleichen sich, die Kandidaten wechseln.

Damit hat die AfD im ersten Halbjahr der neuen Legislaturperiode bereits mehr Wahlgänge initiiert als in den gesamten fünf Jahren zuvor. Allein schon dadurch sichert sie sich viel Aufmerksamkeit im Landtag. Und obwohl sich allein diese Wahlen und Debatten schon auf Stunden summieren, tagte das Plenum insgesamt bisher deutlich kürzer als im Vergleichszeitraum vor fünf Jahren: Die bisherigen 16 Sitzungen dauerten weniger als 59 Stunden. In der vergangenen Legislaturperiode hatte es zu diesem Zeitpunkt 15 Plenartage gegeben - mit insgesamt 72 Stunden Beratungszeit.

"Flaute" im Landtag?

Eine Auswertung des Landtagsamts zeigt, dass zwar die Zahl der Änderungsanträge um gut ein Viertel gestiegen ist (Stichtag: 19. April), es aber im Vergleich zu 2018/2019 deutlich weniger Dringlichkeitsanträge (minus 42 Prozent), weitere Anträge (minus 17 Prozent) und vor allem Gesetzentwürfe der Fraktionen gab (minus 85 Prozent). Die "Augsburger Allgemeine" kam kürzlich zum Schluss, der Landtag sei noch nicht auf Betriebstemperatur, es herrsche noch eine "ungewöhnliche Flaute im politischen Betrieb". In den "Nürnberger Nachrichten" war von einer "Agonie des Parlaments" die Rede.

Nach Einschätzung des Passauer Politikwissenschaftlers Lars Rensmann ist es noch zu früh für eine Bewertung. Es sei normal, dass es "Wellen" in der parlamentarischen Arbeit gebe, sagt er dem BR. Auch laut der Politologin Jasmin Riedl von der Bundeswehr-Universität München lässt sich aus den Zahlen nicht ableiten, dass die Aktivität im Landtag eingebrochen sei.

Staatsregierung und Fraktionen verweisen auf BR-Anfrage darauf, was sie in den vergangenen Monaten schon alles auf den Weg gebracht haben. "Ich sehe da tatsächlich keine Defizite", betont beispielsweise CSU-Fraktionschef Klaus Holtschek. Er verstehe die Diskussion nicht. Zu Beginn einer Legislaturperiode sei es normal, "dass erst einmal Gremien neu besetzt und parlamentarische Abläufe sich wieder einspielen müssen".

"Die AfD flutet das Parlament"

Einig sind sich CSU, Freie Wähler, Grüne und SPD darin, dass Qualität vor Quantität oder Eile gehe. Die Anzahl der Anträge sei kein Maßstab für die Qualität der politischen Arbeit, betont der SPD-Fraktionsvorsitzende Florian von Brunn. Das sehe man an der AfD: "Die AfD flutet das Parlament mit Fake News und rechtsextremen Anträgen."

Die Statistik zeigt eine vergleichsweise große Menge von AfD-Anträgen. Zwar gibt es bei Dringlichkeitsanträgen ein kleines Minus, die Zahl der Änderungsanträge aber hat sich weit mehr als verdoppelt, die Zahl weiterer Anträge ist dreizehnmal so hoch wie vor fünf Jahren. In der Summe hat die AfD-Fraktion innerhalb weniger Monate fast 400 Anträge geschrieben - ein Viertel mehr als CSU und Freie Wähler zusammen, doppelt so viele wie Grüne oder wie SPD.

AfD: "Konnten voll durchstarten"

Der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Christoph Maier, hat für diesen starken Anstieg eine einfache Erklärung: "Zu Beginn der vergangenen Legislaturperiode waren wir ja noch 'Parlamentsneulinge' und mussten uns erstmal mit den parlamentarischen Instrumenten vertraut machen." Dieses Mal sei eine solche Anlaufphase nicht nötig gewesen. "Da konnten wir voll durchstarten. Und das mit einer höheren Zahl an Abgeordneten."

Der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion, Jürgen Mistol, sagt, "das Copy-and-paste-Verfahren der AfD-Fraktion für immer mehr Anträge" habe nichts mit guter Parlamentsarbeit zu tun. "Das ist reine Fließbandarbeit. Das ist nicht unser grüner Anspruch." Holetschek bezeichnet das Vorgehen der AfD als "durchsichtig".

Politologe Rensmann erläutert, dass die AfD bekannt dafür sei, Parlamente primär als politische Wahlkampfbühne zu nutzen - insbesondere das Plenum, also die Vollsitzung, die eine größere öffentliche Aufmerksamkeit biete als die kaum minder wichtige Ausschussarbeit. Es sei wichtig, "der AfD nicht die Bühne zu überlassen", mahnt Rensmann.

Streibl: Grüne und SPD "nicht wahrnehmbar"

Hier sieht der Freie-Wähler-Fraktionsvorsitzende Florian Streibl tatsächlich Defizite - allerdings bei den übrigen Oppositionsfraktionen. Er wirft Grünen und SPD vor, in ihrer Rolle gegenüber der AfD "zu versagen, weil sie hier ihren Job als Opposition eigentlich überhaupt nicht mehr wahrnehmen". Die beiden Fraktionen seien schlicht "nicht mehr sichtbar". Anders als bei Grünen und SPD sei die Gesamtzahl der Anträge der Koalition gestiegen.

Grüne und SPD sehen das erwartungsgemäß anders. "Gerade in einer Zeit, in der rechtsradikale Kräfte versuchen, an dieser Demokratie zu sägen, wollen wir Grüne – auch mit sechs Personen weniger – das Parlament stärken", sagt Mistol. Deswegen fokussiere sich die Fraktion bewusst auf bestimmte Themen, "die viele Leute im Land umtreiben", beispielsweise Klimaschutz, nachhaltige Energieversorgung, Pflege, bezahlbare Kinderbetreuung. Zu all diesen Punkten hätten die Grünen Anträge eingereicht, "die unseren qualitativen Ansprüchen genügen".

Auch die SPD konzentriert sich laut Fraktionschef von Brunn auf Schwerpunkte, beispielsweise auf soziale Politik, gute Bildung für Kinder und auf den Kampf gegen Rechtsextremismus. Aber: Die SPD stelle ein Viertel weniger Abgeordnete als in der vorigen Legislaturperiode. "Im Verhältnis zu der Anzahl der Abgeordneten ist die Anzahl der Anträge gleich geblieben."

"Immer noch keine arbeitende Regierung"

Zugleich kommt wiederum aus der Opposition Kritik an der Regierung und der Koalition. Grünen-Rechtsexperte Toni Schuberl kritisierte vergangene Woche im Plenum, Bayern habe auch ein halbes Jahr nach der Landtagswahl "immer noch keine arbeitende Regierung. Schauen Sie sich die Tagesordnungen in unserem Landtag an!"

Es gebe keine Gesetzentwürfe der Regierung, keine Initiativen der Koalitionsfraktionen zum Abbau von Bürokratie, für günstigen Wohnraum, für Klimaschutz oder eine bessere Mobilität. "Stattdessen sieht man Söder in China einen Panda-Stoffbären knuddeln", beklagte Schuberl und forderte von Schwarz-Orange: "Machen Sie endlich einmal Ihre Arbeit!" Angesichts des Verbots von Gendersternchen und des Kampfes gegen die Cannabis-Liberalisierung werfen die Grünen der CSU schon länger vor, die wahre Verbotspartei zu sein. Der Vorwurf der Untätigkeit geht nun noch einen Schritt weiter.

Staatskanzleichef: Keine überflüssigen Gesetze

Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) verwahrt sich gegen Schuberls Kritik. Dieser glaube offenbar fälschlicherweise, "dass allein die Anzahl von Gesetzen für eine gute Regierungsarbeit steht". Aber Masse führe zum Gegenteil von Klasse. Im Gegensatz zur Ampel erspare die Staatsregierung bayerischen Bürgerinnen und Bürgern "solchen Murks" wie das Heizgesetz. "In Bayern werden nur Gesetze eingebracht, die nötig, sinnvoll und gut gemacht sind."

Das große Ziel sei nämlich, überflüssige Gesetze und Bürokratie abzubauen, betont Herrmann. "Im Übrigen hatten wir letzte Woche das Bundeswehrgesetz im Plenum, diese Woche steht das Polizeiaufgabengesetz an."

Bisher längste Sitzung: Wieder viel AfD

Für diesen Donnerstag ist die bisher längste Plenarsitzung dieser Legislaturperiode angesetzt: von 9 bis 18 Uhr. Anders als bei einigen bisherigen Sitzungen ist die Tagesordnung dieses Mal sehr umfangreich. Neben Dringlichkeitsanträgen enthält sie gleich zwei Gesetzentwürfe der Staatsregierung.

Einmal mehr wird sich aber viel um die AfD drehen. Zum einen lässt es sich die AfD nicht nehmen, auch in der elften Sitzung in Folge einen Kandidaten für das Amt des Landtagsvizepräsidenten vorzuschlagen. Zum anderen wird sich das Plenum erneut mit der Aufhebung der Immunität des AfD-Abgeordneten Daniel Halemba befassen, gegen den es weitere Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gibt. Am Nachmittag diskutiert der Landtag über einen AfD-Gesetzentwurf zur bayerischen Bauordnung.

Fraktionen suchen Strategie

Anschließend soll eine Änderung des Abgeordnetengesetzes des Landtags beraten werden. Der gemeinsame Entwurf von CSU, FW, Grünen und SPD hat wiederum viel mit der AfD zu tun: Seit dem AfD-Einzug in den Landtag hat sich der Ton im Maximilianeum merklich verschärft. 26 Rügen sprach das Landtagspräsidium in der vergangenen Wahlperiode aus, 23 davon gegen AfD-Abgeordnete. Durch die Gesetzesänderung soll das Präsidium künftig in schwerwiegenden Fällen gegen Störer auch ein Ordnungsgeld verhängen können.

Es ist der Versuch der anderen Fraktionen, auf Provokationen der AfD zu reagieren. Ansonsten aber suchen CSU, Freie Wähler, Grüne und SPD noch nach Strategien, wie sie mit der rechten Fraktion umgehen sollen - und mit deren neuer Taktik der Antragsflut. Bisherige Strategien im Umgang mit der AfD hätten "sowohl innerhalb als auch außerhalb des Parlaments keine großen Erfolge erzielt", sagt Politologe Rensmann. "Das ist sicherlich eine große Aufgabe, da gegenzusteuern."

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