Blick auf die Dächer von München
Bildrechte: picture alliance / SvenSimon | Frank Hoermann/SVEN SIMON

Wer einmal in einer Sozialwohnung lebt, kann bleiben (Symbolbild).

Per Mail sharen
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Sozialwohnung trotz höheren Einkommens: Passt das zusammen?

Sozialwohnungen sind für unterstützungsbedürftige Menschen gedacht. Viele Mieter aber verdienen irgendwann wieder mehr und bleiben trotzdem in der Wohnung. Das ist ungerecht – oder doch nicht? Fragen und Antworten.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

💬 Mitdiskutieren lohnt sich: Dieser Beitrag ist aufgrund von Anregungen aus der BR24-Community entstanden. Im Rahmen des Formats "Dein Argument" suchen wir in den Kommentarspalten nach zusätzlichen Argumenten, um sie in unsere Berichterstattung aufzunehmen. 💬

Emily, hier eine fiktive Person, lebt schon länger in einer sogenannten Sozialwohnung. Bis vor wenigen Jahren war sie arbeitslos. Mittlerweile verdient sie gut. Ihre Wohnung wollte sie nicht aufgeben – gute Lage, andere Mieten wären höher gewesen. Emily ist damit eine "Fehlbelegerin". Das ist jemand, für den diese Wohnung gar nicht mehr gedacht ist. Wie viele Emilys es in Bayern wirklich gibt, wird nicht erfasst. Klar ist jedoch: Der Wohnraum ist knapp.

Hinter dem Thema "Fehlbelegung von Sozialwohnungen" steckt eine jahrzehntelange Debatte. Der soziale Wohnungsbau in Deutschland sei "wenig treffsicher", heißt es zum Beispiel in einer Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW, externer Link).

Kommentatoren bei BR24 forderten Mitte April mehr Kontrollen: "Vielleicht sollte man bei Sozialwohnungen auch endlich mal anfangen, zu prüfen, wer da eigentlich drin wohnt", schrieb "Christoph2703". "Da wohnen nach 15 Jahren Menschen, die eine Sozialwohnung gar nicht mehr beanspruchen dürften", hieß es von "peli49".

Die Bundesländer nutzen verschiedene Wege, um gegen eine solche Fehlbelegung vorzugehen. Manchmal wird eine Abgabe erhoben, manchmal ein Zuschuss wieder gestrichen. Wie das konkret aussieht, stellen wir hier vor.

Was ist eine Sozialwohnung?

Menschen mit geringen und mittleren Einkommen haben in Deutschland insbesondere in den Ballungsgebieten Schwierigkeiten, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Der Staat hat es sich zum Ziel gesetzt, für bezahlbares Wohnen zu sorgen. Dafür gibt es Sozialwohnungen: Ein Teil des Wohnungsbestands in Deutschland wird gefördert. Wie genau diese Förderung aussieht, handhaben die Bundesländer unterschiedlich.

Wer darf in eine Sozialwohnung ziehen?

In eine Sozialwohnung einziehen darf nur, wer einen "Wohnberechtigungsschein" besitzt. Den erhält man nur, wenn das Einkommen unterhalb festgelegter Grenzen liegt. Die Einkommensstufen sind weit gefasst, auch Teile der Mittelschicht können einen Wohnberechtigungsschein bekommen. Die Nachfrage ist jedoch höher als das Wohnungsangebot.

Muss ich bei gestiegenem Einkommen wieder ausziehen?

Nein. Einmal eingezogen, dürften die Mieter deutschlandweit auch bei gestiegenem Einkommen wohnen bleiben. Ein höheres Einkommen sei kein mietrechtlicher Kündigungsgrund, heißt es aus dem bayerischen Bauministerium.

"Der Schutz der Mieter ist ein hohes Gut, da geht man nicht ran", erklärt Ralph Henger, Wohnungsmarktexperte vom IW, im BR24-Gespräch. Denn eine Änderung könne zu Fehlanreizen führen, außerdem soll es eine soziale Durchmischung geben: "Es ist gut, wenn sich jemand aus einer schlechten Situation herausarbeitet und dort leben bleiben kann", sagt Henger. Beispielsweise könnte aber auch ein Student in eine Sozialwohnung ziehen, nach dem Studium gut verdienen und wohnen bleiben.

"Einen Auszugszwang zu fordern, halte ich für schwierig", sagt Monika Schmid-Balzert vom Landesverband Bayern des Deutschen Mieterbunds. "An der Wohnung hängt ja nicht nur das Dach überm Kopf oder ob ich es bezahlen kann, sondern da ist das Umfeld dahinter, der Kindergarten, die Schule, da hängt Arbeit, Infrastruktur, Ärzte usw. dran."

Fehlbelegungsabgabe als Ausgleich bei höherem Einkommen: Sinnvoll oder nicht?

Früher mussten Mieter von Sozialwohnungen, die nach dem Einzug wieder mehr verdienten, eine "Fehlbelegungsabgabe" an die Gemeinden zahlen. Doch dieses Instrument haben viele Bundesländer wieder abgeschafft, Bayern 2008. Begründung: Ein hoher Verwaltungsaufwand (externer Link), der Einnahmen schmälerte.

Hessen hat die Fehlbelegungsabgabe 2016 wieder eingeführt. Sie diene dem Gemeinwohl, teilt das hessische Wirtschaftsministerium auf Anfrage mit. Die Gemeinde darf 20 Prozent des Geldes pauschal für Verwaltungskosten einbehalten, der Rest muss zur Förderung von Sozialmietwohnungen eingesetzt werden.

Über die Fehlbelegungsabgabe, die Hessen übrigens auch für Landesbedienstetenwohnungen erhebt, kamen in den vergangenen Jahren jeweils rund zehn Millionen Euro zusammen. Die Quote der abgabepflichtigen Haushalte lag laut Ministerium 2021 bei rund 13 Prozent, das waren insgesamt 10.040 Haushalte.

Die Bewohner von Sozialwohnungen müssen ab dem Moment eine Abgabe leisten, in dem sie 20 Prozent mehr verdienen als es eigentlich für Sozialwohnungs-Berechtigte vorgesehen ist. Die Höhe der Abgabe ist gestaffelt: Die volle Fehlbelegungsabgabe zahlt erst, wer 80 Prozent über der Grenze liegt. Das ist dann die Differenz aus der aktuell gezahlten Sozialmiete und der ortsüblichen Vergleichsmiete.

In einer Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln heißt es, dass eine Fehlbelegungsabgabe das Problem nur teilweise löse (externer Link), "weil sie nur in wenigen Fällen bewirken wird, dass Haushalte die Wohnungen freigeben".

Warum setzt Bayern auf ein anderes Modell?

Auf Nachfrage beim bayerischen Bauministerium, ob die Wiedereinführung einer Fehlbelegungsabgabe angestrebt werde, verweist der Sprecher auf ein anderes System, nämlich die einkommensorientierte Förderung (EoF) nach dem bayerischen Modell.

Der Unterschied zur Fehlbelegungsabgabe: Wer wieder besser verdient, zahlt keine Abgabe als Ausgleich für die vergünstigte Miete, sondern bekommt einfach keinen vorher gewährten Zuschuss mehr. Die Miete liegt dann wieder beim zum Einzug festgelegten örtlichen Durchschnitt, plus eventuellen Mieterhöhungen.

Das habe sich in der Praxis bewährt. Die EoF berücksichtige nämlich "Änderungen im Einkommen sowohl bei einer Verringerung als auch einer Erhöhung bis hin zur Überschreitung der maximalen Einkommensgrenze". Weil die Mieter durch die Zusatzförderung finanziell unterstützt werden, sei die Akzeptanz "deutlich besser als bei einer Abgabe", heißt es aus dem bayerischen Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr.

Wie funktioniert die einkommensorientierte Förderung?

Die EoF ist mittlerweile ein zentrales Fördermodell für sozialen Mietwohnraum in Bayern (externer Link). Mit einem Wohnberechtigungsschein können Mieter in festgelegten EoF-Wohnungen einziehen und dann eine Zusatzförderung beantragen.

Zunächst steht eine Erstvermietungsmiete für die Wohnung fest, die der örtlichen durchschnittlichen Miete für neu geschaffenen Mietwohnraum entspricht. Der Mieter kann dann einen monatlichen Zuschuss ausgezahlt bekommen, der die Differenz zwischen der Erstvermietungsmiete und der für ihn nach seinem Einkommen zumutbaren Miete ausgleicht.

Alle zwei Jahre muss ein neuer Antrag gestellt werden, bei dem das Einkommen überprüft wird. Steigt es über die Grenze der dritten Einkommensstufe (externer Link), fällt der Zuschuss komplett weg.

Wie schneiden Fehlbelegungsabgabe und EoF im Verwaltungs-Vergleich ab?

Den Verwaltungsaufwand schätzen stichprobenartig ausgewählte Städte in Bayern auf BR24-Anfrage unterschiedlich hoch ein: Das Sozialreferat Augsburg sagt, der Aufwand für die frühere Fehlbelegungsabgabe sei "wesentlich höher" gewesen, weil es mehr Wohnungen nach dem früheren Fördermodell gab als derzeit noch über die einkommensorientierte Förderung. Die zuständigen Stellen seien damals verpflichtet gewesen, alle Sozialwohnungen zu überprüfen – jetzt müssen Anträge bearbeitet werden, die nicht jeder Haushalt stellt.

Auch das Sozialreferat München sagt, dass mit der Abgabe mehr Mitarbeiter beschäftigt waren als mit der heutigen Systematik.

Von der Stadt Regensburg heißt es hingegen, dass der Verwaltungsaufwand für die Zusatzförderung höher sei als für die Fehlbelegungsabgabe. "Anstelle einer punktuellen Einkommensprüfung im Drei-Jahres-Rhythmus erfolgt die Bewilligung der Zusatzförderung jeweils für maximal zwei Jahre."

Was ist der "Erste Förderweg"?

Neben der einkommensorientierten Förderung (EoF) gibt es in Bayern unter anderem noch Sozialwohnungen nach dem sogenannten Ersten Förderweg. Dort gilt die "Kostenmiete", das heißt, die Miethöhe soll die laufenden Aufwendungen decken.

Diese Kostenmiete ist meist wesentlich niedriger als die auf dem freien Markt erzielbaren Mieten. Eine Zusatzförderung gibt es in diesen Wohnungen nicht – aber auch keine Fehlbelegungsabgabe mehr. Heißt: Eine Nicht-EoF-Wohnung kann bei steigendem Einkommen günstiger sein als eine EoF-Wohnung ohne Mietzuschuss. Mieterhöhungen sind bei beiden Modellen nach gewissen Regeln möglich.

EoF oder Erster Förderweg: Welche Variante hat mehr Zukunft?

Der EoF-Bestand wird steigen. Beispielsweise schreibt das Sozialamt Nürnberg auf seiner Webseite, dass "nahezu alle Wohnungen", die seit ca. 1999/2000 in Nürnberg mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, im Rahmen der EoF gefördert worden seien.

Der Leiter des Amtes für Wohnbauförderung und Wohnen in Augsburg wiederum teilt mit, dass zum Jahresbeginn 2024 im Stadtgebiet 7.465 geförderte Wohnungen vorhanden waren – davon 3.931 Wohnungen des Ersten Förderungsweges, 1.999 Wohnungen der einkommensorientierten Förderung, der Rest aus anderen Programmen. Weil Sozialwohnungen nur ein paar Jahrzehnte als Sozialwohnung gebunden sind, geht der Altbestand zurück.

Welche Änderungen sind denkbar?

Das Institut der Deutschen Wirtschaft formulierte die Idee (externer Link), die Mietlaufzeiten im sozialen Wohnungsbau auf fünf Jahre zu beschränken. Denn Daten würden zeigen, dass viele Haushalte nur temporär unterstützungsbedürftig sind.

Die Geschäftsführerin vom Landesverband Bayern des Deutschen Mieterbunds, Schmid-Balzert, verweist auf einen überhitzten Mietmarkt: "Die Frage des Auszugs stellt sich momentan überhaupt nicht, weil wir viel zu wenige Wohnungen im bezahlbaren Segment haben." Und sie fügt an: "Nur weil ich die Einkommensgrenze überschreite, heißt das nicht automatisch, dass ich mir auf dem freien Markt eine teure Miete leisten kann."

Im Video: Kontrovers - Die Story: Ruiniert durch Wohnungsbau? Bauherren am Limit

Bauherren Martin und Theresa Baar vor ihrer Baustelle
Bildrechte: BR/Uli Hagmann; picture-alliance/dpa; Montage BR
Artikel mit Video-InhaltenVideobeitrag

Kontrovers - Die Story: Ruiniert durch Wohnungsbau? Bauherren am Limit

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht's zur Anmeldung!